Geschichte eines Hauses
Die Geschichte des Taglöhnerhauses in Kirrlach, früher Schloßstraße 8, läßt sich bis etwa in das Jahr 1800 verfolgen. Es hat eine Grundfläche von 9 x 4 m und stand giebelwärts zur Straße. Die Grundfläche von weniger als 40 qm lässt kaum vermuten, dass das Haus zeitweise von zehn Personen bewohnt war. Die Außenwände besaßen eine einfache, schmucklose Fachwerkkonstruktion, deckend schwarz gestrichen. Zu alten Zeiten beherrschten die Bauwerker Lehmtechniken zum Ausfachen von Fachwerkhäusern. Ursprünglich hat das Fachwerkhaus den Vorrang behauptet, aber überall wurde es im 19. Jh. immer mehr von der relativ brandsicheren Massivbauweise verdrängt.
Über eine dreistufige Treppe in der Mitte der rechten Traufseite (Längsseite) betrat man durch den Hauseingang das kleine Anwesen. Früher war diese Tür zweiteilig. Ein Gang durchzog das Haus von einer Traufseite zur anderen. Später, etwa um 1910, ließ Lorenz Lehn, da bis zur Grenze des Nachbargrundstückes (Gasthaus zum Bamberger Schloß) noch Platz war, den Gang etwas verlängern, was von außen als Anbau an der linken Traufseite zu erkennen ist. Danach war Platz gewonnen für die Küche am Ende des Ganges. Dieser Gang - oder Flurküche - war das Zentrum des Hauses. Neben dem Tisch und dem Wandregal stand dort ein Herd. Rechts und links des Ganges lagen je eine Stube.
Im Raum links des Ganges war die Schlafkammer der Eltern, rechts des Ganges die Schlafkammer der Mädchen. Eine steile Holztreppe führte zum Dachgeschoß, jedoch in früherer Zeit entgegengesetzt der Richtung von heute. Sie war auch mit Brettern verkleidet, und unter der Treppe befand sich eine "Falltür", durch die man, eine kleine Treppe hinabsteigend, in einen niedrigen, gewölbten Kellerraum gelangte, der sich aber nur links des Ganges, unter der Eltern-Schlafstube, hinzog. Das Haus war also nur teilweise unterkellert.
Das Dachgeschoß ist heute durch je eine Wand rechts und links der Speichertreppe dreifach gegliedert: Durch den Vorraum und den im Plan aufgegebenen Abstell- und Bodenraum. Früher war das Dachgeschoß nur einräumig, also ohne Wände. Die Betten der Buben befanden sich rechts von der Treppe, der übrige Raum diente als Abstellkammer. An der linken Traufseite gelangte man vom Dachgeschoß durch eine Türöffnung von ca. 1,20 m Höhe nach außen. Nach außen bzw. innen gelangte man über eine Leiter. Das Dach war mit "Biberschwänzen" gedeckt. Hinter dem Haus stand der Pumpbrunnen. Ein Schuppen schloss sich an, dahinter das Plumpsklo und der Misthaufen. Den Abschluss bildete die kleine Scheune, die heute noch erhalten ist. Ein Ziegenstall gehörte dazu, ebenso ein Schweinestall, mit dem nach außen gehenden Futtertrog. ... und seiner Bewohner
Jedes Haus hat seine Geschichte, so gut wie jede Stadt und jedes Dorf. Die Geschichte des Taglöhnerhauses wird durch noch lebende Zeugen der Vergangenheit und einige notarielle Urkunden aufgehellt. Leider wurde das genaue Baujahr nicht mitgeteilt. Der Erbzusammenhang lässt es jedoch zu, das Entstehungsjahr in die Zeit um 1800 zu legen. Die ersten sicher verbürgten Namen sind Cornel Brühmüller (1803-1878) und Rosina, geb. Martus, geheiratet 1834. Sie sind die Eltern der ersten bekannten Eigentümerin des Hauses, Katharina Brühmüller (1837-1886). Vielleicht waren Cornel oder auch schon sein Vater Tagelöhner, d.h. Arbeiter, die ihren Taglohn für ihre täglich kündbare Arbeit erhielten, Arbeiter im losen Arbeitsverhältnis, die zur unteren Schicht der Dorfgemeinschaft gehörten. So galt wohl das kleine Fachwerkhaus im Dorf als Taglöhnerhaus, eine Haustypenbezeichnung, die auch in anderen Regionen Süddeutschlands zu finden ist. Katharina traf eines der schwersten Missgeschicke jener Zeit: Sie brachte ledig 1863 eine Tochter Maria Magdalena zur Welt, im Kirchenbuch unter "illegitim" geführt. Ihr Vater, Josef Riegel, erkannte sie aber an, so dass sie den Mädchennamen Maria Magdalena Riegel (1863- 1891) führen durfte. Zu einer Heirat der Eltern kam es aber nicht: Josef Riegel setzte sich nach Brasilien ab, und Katharina blieb zeitlebens ledig. Maria Magdalena wuchs heran und heiratete im Sterbejahr ihrer Mutter, 1886, Lorenz Lehn (1863-1943). Sie brachte als Mitgift das Taglöhnerhaus mit in die Ehe. Frühzeitig stellten sich Mutterfreuden ein. Katharina (1886-1962) erblickte noch im Hochzeitsjahr das Licht der Welt, und zwei Jahre später gesellte sich noch das Brüderchen Otto (1888-1912) hinzu. Als Maria Magdalena aber im Spätjahr 1891 einem dritten Kind das Leben schenken wollte, starb sie, erst 28 Jahre alt, mitsamt dem Kind im Kindsbett. Das Haus ging als Erbe an die Kinder Katharina und Otto über, der Vater erhielt das Nutzungsrecht. Der Not gehorchend, zwei Kleinkinder vermissten die Pflege der Mutter, heiratete Lorenz Lehn im Februar 1892 Helena (1870-1951), Tochter der Eheleute Heinrich Schuhmann (gest. 1910) und Magdalena, geb. Wirth. Zu den zwei Kindern aus erster Ehe kamen noch sechs weitere hinzu: Johann, Josef, Wilhelmine, Franziska, Josefa und Lina- Da der Vater zuerst in der Frankenthaler Zuckerfabrik (Pfalz), dann in Waghäusel fast ganztägig in der Zuckerfabrik arbeitete, wurden den Kindern, kaum der Mutter entwachsen, Aufgaben zugewiesen. Jedes war seinem Alter gemäß in den Arbeitsablauf eingespannt und konnte sich so für die ganze Familie als hilfreich erweisen. Arbeit im Haus, Stall, Garten und Feld gab es reichlich: Die mannigfaltigen Haustätigkeiten, Garten und Feld mit der Hacke bearbeiten, zur Erntezeit die Stricke auslegen, Ähren auflesen, die Garben aufstellen, später im Herbst Kartoffeln einsammeln und Rüben ernten... Im Stall standen Ziegen, die Kühe des armen Mannes, es gab Hühner und Katzen: alle wollten versorgt sein. Zweimaliger kulinarischer Höhepunkt des Jahres war das Schlachtfest. Alle vierzehn Tage etwa wurde frisches Brot gebacken. in der winzigen Küche des Taglöhners standen ein Kochherd und ein eiserner Backofen. Die Schätze des eigenen Feldes, des Gartens und des Stalls boten eine vielseitige Auswahl: Mehl, Kartoffeln, Gemüse, saure Milch und weißer Käse, Eier und Wurst. Sauerkraut, zubereitet mit dem Krautbohrer und Krauthobel, dem Krautfass und dem Salz, war eine wichtige Grundlage für eine gesunde Ernährung in der kalten Jahreszeit. Mit Dörrfleisch zu den Kartoffeln serviert, war es eines der beliebtesten Mittagessen im Hause. Weil die Hühner nur in der warmen Jahreszeit legten, konnten bis zu hundert Eier in einer milchigen Flüssigkeit eingelegt werden, um sie für den Winter zu konservieren. Trotz der zahlreichen Pflichten fanden auch die Kinder des Taglöhnerhauses noch genügend Zeit, auch an Spaß und Spiele zu denken: Reifeln, Tanzbär, Verstecken, Seilhüpfen, Ballspiele, Puppen... sind Stichworte, die auf seliges Kindervergnügen hinweisen. Am schönsten war es aber doch, wenn Vater Lorenz seiner geliebten Musik huldigte. Er besaß als einziger im Dorf eine Bassgeige, dazu eine Violine und eine große Trommel, und er spielte, mit seinem Bruder und dessen Kindern, in der "Lehnschen Kapelle" die erste Geige. Auch beim Militär spielte er im Musikkorps. Lorenz Lehn war von einer sangesfreudigen Familie umgeben. Er selbst schrieb vervielfältigend die Noten für den Gesangverein. Ja, man trug sich sogar mit dem Gedanken, Wilhelmine zur Sängerin ausbilden zu lassen. Jahre, Jahrzehnte vergingen. Gottlob gingen der Erste und Zweite Weltkrieg ohne Menschenverlust an der Lehn-Familie im Taglöhnerhaus vorüber. Otto, Sohn aus erster Ehe, starb 1912, 24jährig, an Tuberkulose. Allmählich leerte sich das Haus. Ein neuer Lebensabschnitt begann mit dem Kennenlernen und der Heirat eines Lebensgefährten. Manche Hochzeitsfeier fand in einem eigens für diesen Zweck aufgeschlagenen Zelt auf der Hofseite des Taglöhnerhauses statt. Johann und Josefa blieben ledig. Als Katharina, Tochter der ersten Frau des Lorenz Lehn, sich mit Ambros Lehn verheiratete, drängte der Vater Lorenz seine Tochter, ihm das Haus zu übergeben. Sie verkaufte es ihrem Vater im Jahre 1907 für 500 Mark. Am längsten blieb Tochter Lina, verh. Hoffner (gest. 1971) im Hause. Sie pflegte liebevoll ihre Eltern bis zu deren Tod und erhielt als Dank das Haus. Aus der Lehn-Familie wurde sie die letzte Eigentümerin des Taglöhnerhauses. 1955 verkaufte sie das kleine Anwesen an den Hausnachbar Peter Dagenbach und dessen Tochter Emma, verh. Kremer, und baute selbst mit ihrem Sohn Simon ein Haus in der Kolpingstraße. Zuletzt bewohnte das Taglöhnerhaus die Familie des Valentin Müller (Sohn von Josef Müller), der zeitweilig im Stall beim alten Kirrlacher Rathaus als Farrenwärter fungierte und vor seinem Einzug in das Taglöhnerhaus im Obergeschoß von Hans Dagenbach wohnte. Valentin Müller starb 1981, und danach stand das Häuschen leer. 1985/86 kam es zum Abbruch, und heute steht an seiner Stelle eine geräumige Garage. |