In der Chronik der Stadt Waghäusel ist vermerkt, daß im 18. Jahrhundert die
Auswanderung nach Ungarn stark zugenommen habe. Wie viele Personen
tatsächlich ausgewandert sind und wohin, wurde bisher nicht festgestellt.
Hierzu gab es nun einen konkreten Anlass. Im Rathaus erschien Ende September ein Josef Schmiedecker aus Chicago/USA und erkundigte sich nach seinen Vorfahren, die 1775 nach Ungarn ausgewandert sein sollen. Im Rathaus gibt es darüber keine Unterlagen und auch das Pfarramt Kirrlach hatte die Angaben nicht parat, um eine verbindliche Auskunft geben zu können.
Der Kirrlacher Heimatverein, der sich in der Vergangenheit viel um die Auswanderung im letzten Jahrhundert nach Brasilien und Nordamerika kümmerte, war nun gefragt. Leicht hatte es der Vorsitzende des Heimatvereins, Erhard Schmitteckert, der nur in seinen eigenen Stammbaum einzusehen hatte. Ein
Heinrich Schmiedecker, geb. 1738, verheiratet 1762, ist in Kirrlach nicht als verstorben vermerkt. Der Ahnenforscher des Heimatvereins, Ludwig Hillenbrand, konnte die Angaben des Amerikaners bestätigen.
Im Jahre 1775 wanderte Heinrich Schmiedecker mit Ehefrau Anna Maria Martus und fünf minderjährigen Kindern nach Ungarn aus. Zur damaligen Zeit waren die Bürger im Hochstift Speyer noch Leibeigene. Man mußte sich "freikaufen". Die Entlassungsgebühr (Manumission) betrug damals 11 % des Vermögens. Die Versteigerung des Vermögens des Heinrich Schmiedecker ergab 232 florentiner Gulden. Diese Angaben findet man in Werner Hacker "Auswanderungen aus dem früheren Hochstift Speyer nach Südosteuropa und Übersee im 18. Jahrhundert". Nach diesen Angaben sind aus Kirrlach 26 und aus Wiesental 53 nach Ungarn ausgewanderte Familien oder Einzelpersonen vermerkt.
Wir konnten den in Amerika jetzt wohnhaften Nachkommen des ausgewanderten Schmiedecker auch über die Vorfahren des 1775 Ausgewanderten informieren. Er war der Enkel des ersten in Kirrlach genannten Schneiders Hans Michel Schmiedecker. Der jetzt in Amerika wohnende Schmiedecker, dessen Tochter in Neustadt/Pfalz wohnt, macht sich Gedanken, weil mit seinem Tod der Name der nach Ungarn ausgewanderten Schmiedecker wohl aussterben wird. ( In Ungarn bzw. dem heutigen Kroatien hat sich Namensschreibweise nicht geändert )
Anhand des Ortssippenbuches von Miletitsch/Batschka lassen sich die Spuren der vor über 200 Jahren ausgewanderten Kirrlacher eindeutig nachzeichnen. Die Ansiedlung erfolgte zuerst in Batsch-Sentiwan, später in Miletitsch. Einige Nachkommen werden in den Nachbarorten Hodschag und Brestowatz erwähnt. Laut Ortssippenbuch sind Nachkommen im jugoslawischen Lager Gakowa 1947 gestorben, ebenso in der Bundesrepublik (Neckarelz, Ludwigsburg, Neustadt). Josef Schmiedecker war bei Kriegsende 17 Jahre alt. Er wurde zur jugoslawischen Kohlengrube Lubnica gebracht, wo er fünf Jahre arbeitete. Dort lernte er seine Frau kennen, die das gleiche Schicksal hatte .Im Jahre 1950 wurde die Rückkehr in die Batschka erlaubt, nach weiteren zehn Jahren auch die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland und von da aus erfolgte die Auswanderung nach Amerika.
Durch die Nachfrage konnte nun erstmals eine Spur von Auswanderern aus Kirrlach nach Ungarn festgestellt werden. Da die Auswanderung generell ab Ulm auf der Donau erfolgte, waren alle Ankömmlinge "Donauschwaben". Interessant ist, daß ledige Personen oft vor der Einschiffung in Ulm geheiratet haben. Wahrscheinlich waren die Reise-Kosten für eine Familie billiger als für 2 Einzelpersonen.
Erhard Schmitteckert, 27.10.1998